Die Druck- und Zeichenkunst übte bereits in jungen Jahren eine große Anziehungskraft auf mich aus. Mein Vater war Architekt und besaß eine beträchtliche Sammlung an Kunst- und Architekturbüchern. So habe ich die wichtigsten “Entdeckungen” im Bücherregal meines Vaters gemacht. Schon früh lernte ich die Radierungen von Rembrandt und die Stiche von Albrecht Dürer kennen. Später begann ich auch Interesse für die englischen Grafiker, wie zum Beispiel Sir John Charles Robinson und Sir Charles Holroyd, zu entwickeln.
Vor allem die Radierungen von Sir J. C. Robinson haben mich damals besonders beeindruckt. Inzwischen habe ich diese Bücher geerbt und bewundere bis heute die Radierungen von Robinson. In seinen Radierungen “Corfe Castle: Sunshine after rain” und “Newton Manor” in der Nähe von Swanage in South Dorset Downs ist es ihm auf besondere Weise gelungen, eine atmosphärische Stimmung zu erzeugen, obwohl er die Radierung mit deutlichen und breiten Linien angefertigt hat. Diese Drucke müssen um 1872 herum entstanden sein. Im Grunde gehörten diese Künstler zu meinen ersten Lehrmeistern und haben somit zu meiner künstlerischen Entwicklung beigetragen.
Ich habe jetzt zwar mehrere Künstler genannt, die im grafischen Bereich Großes geleistet haben, dadurch soll jedoch nicht der Eindruck entstehen, dass mich Malerei und Bildhauerei weniger interessieren. Ich habe diesen Artikel speziell für meine Website verfasst. Deshalb wird dieser durch persönliche Standpunkte geprägt sein.
Als ich Ende der sechziger Jahre zur Kunstakademie in Utrecht zugelassen wurde, habe ich mich ab dem zweiten Jahr auf grafische Techniken spezialisiert. Entgegen der allgemein herrschenden Auffassung darüber, was gute und was schlechte Kunst ist, nahm mein Interesse für das Fin de Siècle zu. In Kunstgeschichtsseminaren, die damals an der Kunstakademie gegeben wurden, wurde diese Periode als dekadent und nicht innovativ abgetan. Die gesamte romantische Periode des neunzehnten Jahrhunderts wurde nahezu vollständig übergangen. Auch die Präraffaeliten (Pre-Raphaelite Brotherhood) und die Nazarener galten als Künstler, die eigentlich nicht so richtig verstanden hatten, worum es ging.
Erstaunlicherweise wurde William Morris jedoch behandelt und bekam ich ein paar Seiten aus den “Canterbury Tales” von Chaucer zu sehen, die Morris gestaltet hatte und auf denen ich einige Illustrationen von Edward Burne-Jones entdeckte. Auch die besonderen Ideen von Morris, die er mit der Arts-and-Crafts-Bewegung zu verwirklichen versuchte, kamen zur Sprache. Als wirklich wichtige Bewegungen des neunzehnten Jahrhunderts wurden jedoch der Impressionismus und der Post-Impressionismus behandelt. Zum Glück interessierte ich mich sehr für diese Kunstströmungen. Auch auf den Expressionismus wurde ausführlich eingegangen und damit waren wir schon ziemlich weit in das zwanzigste Jahrhundert vorgedrungen.
Erst Jahre später, als ich mich öfter in England aufhielt, wurde mir allmählich immer mehr bewusst, wie wichtig William Morris und somit auch die Präraffaeliten dort gewesen sind. Sie haben deutlich den Liberty-Stil beeinflusst, der einige Jahrzehnte später entstand. Und auch die Kirchenkunst wurde bis weit ins zwanzigste Jahrhundert durch diese Künstler geprägt. Zwei sehr bekannte Illustratoren aus der Art-Liberty-Periode waren Arthur Rackham und Edmond Dulac, der in Toulouse geboren wurde. Beide sind durch das Illustrieren von Märchenbüchern bekannt geworden. Obwohl die Illustration für uns ein Pflichtfach war, wundert es mich, dass wir während unserer Ausbildung nie etwas von diesen beiden besonders talentierten Illustratoren gehört haben.
Der Jugendstil und das Art nouveau wurden damals zwar behandelt, allerdings nur recht kurz. Uns wurde ein wenig über Tapeten, Griffe von Schreibtischschubladen erzählt, die der Belgier Henry van de Velde entworfen hatte, und noch einiges zum Kunsthandwerk. Unser Dozent bezeichnete diese Periode gerne als Salatöl-Stil, und zwar nach einem Plakat, dass der niederländische Maler Jan Toorop für eine Salatölmarke entworfen hatte. Der Tscheche Alfons Mucha, der großen Ruhm errang, als er in Paris arbeitete, wurde nie erwähnt und auch im Kunstgeschichtsbuch, das wir uns anschaffen mussten, kam er nicht vor. Ebenso wenig wurde der Österreicher Gustav Klimt erwähnt. In Bezug auf die älteren Kunstepochen konnte man dem Buch nicht viel vorwerfen, aber ab 1870 wusste der Professor es nicht mehr so gut.
Über Toulouse-Lautrec wurde ein wenig gesprochen. Im Buch wurde er dem impressionistischen Stil zugeordnet. Heute gilt er als Post-Expressionist und das finde ich nicht falsch. Auch Seurat und Paul Cézanne gehören zu den Post-Expressionisten. Der große Zusammenhang und die Übereinstimmungen, die die Impressionisten aufwiesen, ist bei den Post-Impressionisten nicht mehr vorhanden. Was diese Maler jedoch gemeinsam hatten, war – wie der Name schon sagt -, dass sie unmittelbar nach dem Impressionismus kamen, allerdings noch deutlich von diesem beeinflusst wurden.
Man darf jedoch nicht vergessen, dass die Mehrzahl der Maler in der Zeit des Impressionismus und des Neo-Impressionismus weiterhin akademisch arbeitete. Bis weit nach dem Zweiten Weltkrieg mussten die Studenten noch Gipsabgüsse von klassischen Skulpturen nachzeichnen. Diese nicht “avantgardistischen” Maler werden in den Kunstgeschichtsbüchern so gut wie gar nicht behandelt. Dennoch haben viele von ihnen prachtvolle Kunstwerke geschaffen. Im Musée d’Art Moderne et Contemporain in Straßburg entdeckte ich zum Beispiel das Gemälde “La Vierge Consolatrice” von William Bouguereau.
Es handelt sich dabei um ein monumentales und hervorragend gemaltes Gemälde. In diesem Museum ist, wie könnte es anders sein, ein eigener Raum für den Holzschnitzer/Holzschneider Gustave Doré eingerichtet, da dieser in Straßburg gewohnt und gearbeitet hat. Ich habe auch große Bewunderung für die Arbeiten der Maler Martin Feuerstein und Pierre Puvis de Chavannes. Aus kunsthistorischer Sicht haben diese Maler heutzutage keine besondere Bedeutung und das gilt auch für William Bouguereau und die belgischen Maler Leon Frédéric und Constant Montald.
Zu ihren Lebzeiten war die Situation jedoch teilweise eine ganz andere. Dass Puvis de Chavannes den Auftrag erhielt, im Pantheon in Paris einige monumentale Wandbilder zum Leben von Sainte Geneviève zu malen, wird wohl bedeutet haben, dass er damals zu den größten Malers Frankreichs gezählt wurde. Aber auch heute noch ist er durch einige seiner Gemälde, die zum Symbolismus gezählt werden, international bekannt.
Je mehr wir den Impressionismus hinter uns gelassen haben, stellen wir, wie ich bereits ankündigte, fest, dass die Unterschiede zwischen den Künstlern immer größer wurden und dass mehr Kunstströmungen gleichzeitig auftraten. Zwei Künstler, die um 1880 gearbeitet haben, sind James Ensor und Lawrence Alma-Tadema. Ein größerer Unterschied zwischen zwei Künstlern dieser Zeit ist fast nicht möglich. (Heute ist alles möglich.)
Es ist deutlich, dass die Kunstgeschichte von der Mode beeinflusst wird. Erst als ich die Akademie verlassen hatte, wurde das Interesse für alles, was sich zwischen 1870 und 1930 abgespielt hatte, größer und man erkannte, dass der Impressionismus und der Expressionismus nicht die einzigen wichtigen Stile waren. Auch wenn wir damals schon einiges zum Post-Impressionismus gelernt hatten, wird auch dieser Periode erst später mehr Aufmerksamkeit geschenkt und gilt Theo van Rijssselberghe inzwischen als einer der wichtigsten Vertreter dieser Strömung. Vor allem jedoch nimmt das Interesse für Art nouveau (Jugendstil) und Art déco zu.
Das Van Gogh Museum in Amsterdam hat in erheblichem Maße zu dieser Entwicklung beigetragen. Dort habe ich Ausstellungen von Franz von Stuck, Lawrence Alma-Tadema, Pierre Puvis de Chavannes und Dante Gabriele Rossetti gesehen.
Anfang der siebziger Jahre gab es für mich noch vieles zu “entdecken”. In diesen Jahren begegnete ich zum ersten Mal den Arbeiten von Gustav Klimt. Anfangs war ich davon nicht besonders beeindruckt. Ich fand seine Arbeiten zu platt, zu stilisiert und das viele Gold fand ich auch eigenartig. Jetzt sehe ich das anders. Gustav Klimt ist ein Künstler, der eine wichtige Rolle in der Jugendstilperiode gespielt hat, vor allem in Österreich bei der Wiener Secession. Er hat auch viel für die Zeitschrift “Ver Sacrum” illustriert, eine besondere Zeitschrift, an der auch andere talentierte Künstler mitgewirkt haben.
Auch in Deutschland entstanden in dieser Zeit mehrere Kunstzeitschriften, wie zum Beispiel die bibliophile Zeitschrift “Pan”. In München wurde 1896 die legendäre Zeitschrift “Jugend” von George Hirth gegründet, deren Untertitel “Münchener illustrierte Wochenzeitschrift für Kunst und Leben” deutlich machte, dass auch kulturelle und gesellschaftliche Themen behandelt wurden. Dabei kam es hin und wieder vor, dass Künstler provozierende Bilder zu den Themen abbildeten.
Sehr bekannt ist der Entwurf von Ludwig von Zumbusch, auf dem zwei tanzende junge Frauen mit flatternden weißen Gewändern und langen schwarzen Haaren abgebildet waren. Im Internet kann ich zwar nicht so viel von Von Zumbus finden, aber mit dieser Abbildung hat er sich unsterblich gemacht. Mehrere Beiträge für diese beiden deutschen Zeitschriften stammen von Franz von Stuck. Er war deutlich ein Exponent der Jugendstilperiode, allerdings mit einer Sehnsucht nach der Antike.
Über einige Künstler, die in dieser Zeit in Deutschland gearbeitet haben, wie zum Beispiel Friedrich W. Kleukens, der u.a. mit dem in Wien gebürtigen Fritz Hellmut gearbeitet hat, würde ich gerne mehr erfahren. Das gleiche betrifft für Karl Smoll von Eisenwerth der in Wien geboren ist 1879. Er hat 1898 in München an der Kunstakademie studiert und danach als Kunstmaler/Grafiker an Entwürfen im Kunsthandwerk gearbeitet.
In 1904 hat er in Dresden eine Goldmedaille für seine grafischen Arbeiten erhalten. Ich kenne nur eine Abbildung einer Illustration, die er für einen Kalender angefertigt hat. Es handelt sich um den Monat November des Jahres 1903 und ich vermute, dass es sich um eine Federzeichnung handelte. Diese eine Abbildung hat meine Neugierde geweckt und daher würde ich auch gerne den Rest des Kalenders und seine Werke, für die er die Medaille erhalten hat, sehen.
Außerdem würde ich gerne wissen, ob mein Vater diesen Mann gekannt hat, da er Rektor und Dozent an der Technischen Hochschule in Stuttgart war, als mein Vater dort studierte.
Der Erste Weltkrieg war ein Desaster, und zwar nicht nur menschlich gesehen, sondern auch in kultureller Hinsicht. Obwohl der Jugendstil ein internationaler Stil war und die Künstler einander besuchten, schätzten und inspirierten, haben die wirtschaftlichen Kräfte und die politischen Triebe trotz des günstigen künstlerischen und kulturellen Klimas gesiegt und einen furchtbar schrecklichen Krieg entstehen lassen.
Als sich der Pulverdampf verzogen hatte und zweifellos viele junge Talente in den Laufgräben zurückgeblieben waren, waren auch viele ältere Künstler an Krankheiten, Unterernährung und Kriegsgewalt gestorben, darunter Gustav Klimt, Egon Schiele, Koloman Moser, Umberto Boccioni und viele andere. Dass Europa zwei Jahrzehnte darauf von einem noch schrecklicheren Krieg heimgesucht werden würde, konnte niemand ahnen.
Als mein Vater kurz nach dem Zweiten Weltkrieg noch einmal nach Stuttgart musste, war die Stadt durch die Bombardierungen so verwüstet, dass es ihm nicht gelungen ist, die Straße wiederzufinden, wo er jahrelang gewohnt hatte.
Während der gesamten Zwischenkriegszeit gab es mehrere parallele Kunstströmungen. Die wichtigste Strömung war das Art déco. Der Übergang vom Jugendstil zum Art déco war bereits vor dem Ersten Weltkrieg wahrnehmbar. Ein wichtiges Beispiel in der Architektur ist das Palais Stocklet, das in den Jahren 1905-1911 vom in Mähren geborenen Wiener Architekten Josef Hoffmann in Brüssel gebaut wurde.
Ich habe das Glück, dass in der letzten Zeit mehr über die Periode des Art déco geschrieben wird und dieser Strömung auch mehr Ausstellungen gewidmet werden. Oft handelte es sich dabei um Ausstellungen mit angewandter Kunst, wie zum Beispiel Tonwaren und Schmuck. In unserem Kunstgeschichtsbuch, das ich immer noch habe, kamen die Wörter Art déco und Art-Decoration nicht vor. Und wenn ich mich richtig erinnere, auch im Unterricht nicht. Ansonsten wurde über alles Mögliche gesprochen. Eine Malerin wie Tamara de Lempicka, die die Art-déco-Periode meiner Ansicht nach am besten repräsentieren konnte, wurde mit keinem Wort erwähnt, und das galt auch für das Chrysler Building, das ab 1930 ein wesentlicher Bestandteil der Skyline von New York wurde.
Mein Vater hatte deutlich andere Interessen als ich. Er fühlte sich mehr zu den modernen, internationaleren Stilrichtungen hingezogen. Wie kann es auch anders sein, schließlich ist er im Jahr 1906 geboren, ganze vierzig Jahre vor mir. Er gehörte derselben Generation an wie unser Kunstgeschichtsdozent. Allerdings war er nicht immer konsequent, so fand ich in seinem Bücherschrank zum Beispiel auch Literatur des niederländischen Architekten K.C.P. De Bazel und des österreichischen Architekten Otto Wagner.
Das Kunstgeschichtsbuch “Wereldtaal Der Vormen” (Weltsprache der Formen), mit dem wir an der Akademie arbeiteten, war nicht so schlecht. Alle älteren Perioden wurden darin deutlich und komprimiert beschrieben. Scheinbar konnte sich die ältere Generation bezüglich der neueren Perioden noch kein gutes Urteil bilden, da gerade sie inmitten dieser Perioden aufgewachsen war. Heute würde es niemandem mehr einfallen, Piet Mondrian und Kandinsky in einem Kunstbuch dem Kapitel Kubismus zuzuordnen.
Bauhaus und De Stijl waren die modernen Strömungen, die meinen Vater etwa Mitte der zwanziger Jahre besonders beeindruckten. Ein Kunstmaler, der damals seine Fantasie erregte, war Lyonel Feininger. Dieser Maler wurde, wie auch Paul Klee und Wassily Kandinsky, von Walter Gropius am Bauhaus in Weimar als Dozent eingestellt. Außerdem fand ich im Bücherschrank meines Vaters mehrere Bücher von und über Le Corbusier. Ich kann gut nachvollziehen, warum mein Vater diese Bücher gekauft hat. Für mich war Le Cobusier ein Utopist.
Wenn er seine Ville Radieuse hätte realisieren können, dann würde die Welt noch schlechter aussehen als heute. Er wollte den gesamten Stadtteil von Paris, der sich zwischen Montmartre und der Seine befand, abreißen, um dort anschließend achtzehn Wolkenkratzer zu errichten, in denen der Mensch nach einer von ihm erfundenen mechanischen Ordnung hätte wohnen müssen. Der Architekt musste sich in mehrfacher, auch künstlerischer Hinsicht an die Interessen der industrialisierten Gesellschaft anpassen. Zum Glück fand der Internationale Stil 1960 ein Ende und ist der Utopist kurz darauf im Meer ertrunken.
Als selbstständiger Architekt hat mein Vater durchaus gut gearbeitet. Er war vor allem an Nutzbauten beteiligt. Einerseits handelte es sich dabei um Lagerräume, Fabriken, Schulen und andererseits um viele Ladenräume, vor allem im jüdischen Mittelstand. Er entwarf nicht nur die Fassade, sondern auch die gesamte Ladeneinrichtung, das heißt, die Ladentheken, Schaufenster, Beleuchtung usw. Er hat seinen Beruf mit viel Liebe und Interesse ausgeübt.
Meine beiden Eltern sind bereits vor längerer Zeit verstorben und ich arbeite jetzt bereits zwei Drittel meines Lebens an Radierungen. Mit großer Regelmäßigkeit besuche ich Ausstellungen in Museen und Galerien. Dennoch hätte ich ein großes Problem, wenn ich heute sagen müsste, welche Künstler, die derzeit bekannt sind, es auch in hundert Jahren noch wert sind, dass man von ihnen spricht.
Aber die “Gelehrten” beschäftigen sich damit und sie denken sich ab und zu Richtungen und Strömungen aus, in die sie die Künstler einordnen wollen, die heute bekannt sind. Als ich 1969 die Akademie verließ, tat sich viel in der Kunst. Strömungen wie Op-Art, Funkart und Nouveau-Realisme lösten sich auf und neue Strömungen entstanden, darunter Side-Works, Superrealismus und Post-Modernismus. In diesen Jahren konnte man ohne Weiteres 15 Strömungen aufzählen, die sich parallel zueinander weiterentwickelten.
Heute, viele Jahrzehnte später, passiert nicht mehr viel. Die Internet-Kunst ist so ziemlich das Einzige, das noch hinzugekommen ist, und das war im Jahr 1994. Seitdem gibt es nichts Neues mehr.
Um 1900 war das völlig anders. Die Kunstströmungen waren damals viel allgegenwärtiger. Sie prägten das Straßenbild, die Architektur, das Straßenmobiliar, Plakate und das gesamte Modebild. Auch die Interieurs konnten sich dem herrschenden Stil nur schwerlich entziehen. An Möbeln, Geschirr, dem Schmuck, den man trug und auch den Bucheinbändern im Bücherschrank konnte man die Jugendstilperiode erkennen, denn auch der grafische Betrieb wurde stark von der herrschenden Stilperiode beeinflusst. Dies war später auch bei der Art-déco-Periode der Fall, danach gab es keine alles umfassende Kunst oder Stilepochen mehr. Der absolute Einschnitt war der Zweite Weltkrieg.
Die meisten Strömungen hielten nur relativ kurze Zeit an, meistens nur etwa zehn Jahre. Strömungen wie der Dadaismus und der Blaue Reiter haben nur sieben Jahre fortbestanden. Übrigens handelte es sich dabei nicht um Kunst für “jedermann”. In gewisser Hinsicht waren diese Strömungen elitär, dennoch waren sie nicht unwichtig.
Dass derzeit im Bereich der bildenden Kunst hier im Westen so wenig Veränderung zu spüren ist, beunruhigt mich. Obwohl ich ansonsten nicht so viel für Museumsdirektoren übrig habe, fand ich, dass Herr Rudi Fuchs (ehemaliger Direktor des Stedelijk Museum in Amsterdam) nicht ganz unrecht hatte, als er sagte, “dass die moderne Kunst langsam am Vergreisen ist”.
Einige Strömungen existieren jetzt schon seit etwa 50 Jahren, zum Beispiel die Body-Art und die Kinetische Kunst. Outsiderkunst gibt es bereits seit mehr als 60 Jahren. Aber ob diese Strömungen länger fortbestehen werden als der Barock, das weiß ich nicht. Immerhin bestehen sie schon länger als der Rokoko. Wenn wir die Frühromanik nicht mitzählen, dann wird die romanische Kunst bald eingeholt, was den Zeitraum betrifft.
Viele der Strömungen, die wir heute vorfinden, haben nur noch wenig mit bildender Kunst zu tun, zum Beispiel die Installationskunst, Body-Art, Fluxes und die Perfomance-Kunst. Bei diesen Kunstformen ist es auch nicht mehr notwendig, dass der Künstler zeichnen kann. Es handelt sich um eine sehr “demokratische” Kunst, denn im Grunde kann jeder daran teilnehmen. Meiner Meinung nach gehören die letzteren beiden Kunstrichtungen allerdings eher ins Theater als in ein Museum für bildende Kunst.
Bereits im neunzehnten Jahrhundert erkannten einige aufgeklärte Denker, dass die industrielle Revolution auch negative Folgen mit sich bringen würde, wie zum Beispiel den Untergang des Handwerks. Einige von ihnen waren William Morris (Arts and Crafts) und der Belgier Henry van de Velde, der später Mitbegründer des Deutschen Werkbundes wurde. Dennoch haben sie das Blatt nicht wenden können.
Das Handwerk ist heute so gut wie ausgestorben und wir leben in einer Gesellschaft, in der das Massenprodukt dem Wirtschaftssystem zugrunde liegt. Die meisten Produkte sind bereits innerhalb von 10 Jahren wieder abgeschrieben. Ich selbst lasse meine Schuhe nicht mehr besohlen, weil es günstiger ist, nach anderthalb Jahren eines neues Paar zu kaufen.
Auch Gott spielt in der Gesellschaft heute kaum noch eine Rolle. Die Bankgebäude sind mittlerweile höher als die Kirchtürme. Fahren Sie einmal nach Hamburg. Hamburg ist eine Stadt, die man nur besucht, wenn man dort auch wirklich etwas tun muss. Im Gegensatz zur Stadt Bremen, die bis heute ihren freundlichen Charakter beibehalten hat. Auch die Art des Wohnungsbaus, der dort vor kurzem auf dem Teerhof realisiert wurde, gefällt mir besonders gut.
Auch Antwerpen sollte in dieser Hinsicht besser aufpassen. Es war ein großer Fehler, die Hochgeschwindigkeitsstrecke bis zum Centraal Station (Hauptbahnhof) durchzuziehen, anstatt alles über den Bahnhof Antwerpen-Berghem laufen zu lassen. Es wäre gerade eine gute Gelegenheit gewesen, dort einen guten Bahnhof zu schaffen, durch den der Stadtteil aufgewertet worden wäre. Das Zentrum selbst muss jetzt nur noch mehr Andrang bewältigen, sodass die Lebensqualität dort abnimmt und es sich in eine ordinäre Einkaufsmeile verwandeln wird.
Ich fertige Radierungen an und arbeite dadurch als Künstler sehr handwerklich. Eigentlich müsste man mich darum beneiden. Ich entwerfe und zeichne nicht nur, sondern verarbeite auch Metall. Die Messingplatten für die Radierung muss ich erst aus einer großen Platte im richtigen Format zusägen, bevor ich mit einer neuen Radierung beginne. Danach poliere ich die Platte und versehe sie dann mit dem Ätzgrund. Erst dann ist es möglich, mit der Ätznadel darauf zu zeichnen. Das Ätzen selbst führe ich mit Ätzwasser durch, das ich in einem bestimmten Verhältnis aus Salpetersäure und Eisenchlorid zusammengestellt und mit Wasser verdünnt habe. Außerdem ätze ich immer mit Ätzwasser, das 21 Grad Celsius warm ist. Dadurch bin ich eigentlich auch eine Art Laborant. Die Anfertigung von Probedrucken und das Drucken der Auflage, wenn die Radierung einmal fertiggestellt ist, sind sehr handwerkliche Tätigkeiten. In der Regel rahme ich meine Radierungen selbst ein, das ist wiederum ein Fach für sich (Passepartouts schneiden und einrahmen).
In meiner Zeit gehörten die grafischen Techniken, das Anfertigen von Radierungen und Holzschnitten, zu den Pflichtfächern an der Akademie. Heute werden die grafischen Fächer und das Fach Illustration an mehreren Akademien nicht mehr unterrichtet.
Ein wichtiger Grund dafür ist, wie man mir sagte, dass es die Studenten nicht mehr interessiert. Ich nehme an, dass sie ihre Karrierechancen stattdessen eher im audiovisuellen Bereich suchen. Außerdem lässt die Qualität der Fachdozenten in diesen Bildungsinstituten meiner Meinung nach zu wünschen übrig. Manchmal frage ich mich mit Erstaunen, wie jemand es geschafft hat, eingestellt zu werden. Das Einzige, an das wir uns bezüglich eines Dozenten erinnern, der in den Niederlanden an einer renommierten Akademie unterrichtet hat, ist, dass er irgendwann einmal eine Krokette in Bronze hat gießen lassen.
Wenn ich mich selbst als Künstler einstufen müsste, dann würde ich mich im traditionellen Bereich einordnen. Ich gehe davon aus, dass ich von klein auf stark durch das beeinflusst wurde, was ich in Büchern, aber auch in Kircheninterieurs gesehen habe. Wenn man mich fragen würde, ob ich mich für mein Fach entschieden habe, kann ich das nicht so leicht beantworten. Irgendwann habe ich einfach damit angefangen, weil ich keine Wahl hatte. Im Nachhinein kann ich mich immer noch glücklich schätzen, dass es so gekommen ist und ich mich jeden Tag konzentriert mit meiner Arbeit beschäftigen kann.
Ich bin regelmäßig mit dem Fahrrad unterwegs, um draußen in der Natur Eindrücke zu sammeln und ein paar Skizzen anzufertigen. Dazu brauche ich nicht weit zu fahren, da ich an der waldreichen Seite von Utrecht wohne. Mit dieser Landschaft bin ich schon mein Leben lang vertraut.
Wenn ich wieder zu Hause bin, arbeite ich die Skizzen, die ich in der Natur angefertigt habe, weiter aus, um sie danach auf der Radierplatte zeichnen zu können. Wenn ich Stadtansichten zeichne, habe ich mir diese ausgedacht, wie zum Beispiel bei der Radierung Terminus. Auch die beiden Autobusse existieren nicht.
Nachdem es am Ende des neunzehnten Jahrhunderts durch fotografische Mittel möglich wurde, eine Zeichnung und somit auch ein Foto zu klischieren, war es nicht mehr notwendig, für Bücher, Zeitschriften und Zeitungen Graveure, Radierer und Lithografen einzustellen. Diese Handwerker wurden auf einen Schlag überflüssig. In begrenztem Maße beschäftigte sich nur noch der Künstler mit diesen Techniken, wie zum Beispiel Pieter Dupont (1870 – 1911) in den Niederlanden. Mit Stichel und Radiernadel hat er wunderbare Arbeiten angefertigt. Vor allem seine Pariser Radierungen mit den Omnibussen, vor die drei Pferde gespannt waren, sind es auf jeden Fall wert, betrachtet zu werden. Auch danach gab es in den Niederlanden Künstler, die sich auf traditionelle und handwerkliche Weise mit der Grafik beschäftigt haben. Zu den heutigen Künstlern, die mit Grafik arbeiten, gehören: Charles Donker, Reinder Homan, Han van Hagen und Wim Bettenhausen.
Obwohl der grafische Bereich auch in Deutschland und Österreich wie in den meisten anderen westlichen Ländern eine wichtige Tradition hat, ist es mir bis heute nicht gelungen, dort Künstler zu finden, die derzeit grafische Arbeiten anfertigen, mit denen ich mich in irgendeiner Form verwandt fühle. Es gibt sie garantiert. Wenn Sie diese Künstler kennen, würde ich es sehr zu schätzen wissen, wenn Sie mich davon in Kenntnis setzen. Für mich ist es interessant zu wissen, wie diese Künstler heißen und in welcher Galerie sie ausstellen.
In den Niederlanden haben sich einige Galerien auf das Ausstellen und Sammeln dieser Arbeiten spezialisiert. Dazu gehören der Kunstzaal van Heyningen in Den Haag und Galerie Petit in Amsterdam. Auch das Museum Het Rembrandthuis an der Jodenbreestraat in Amsterdam organisiert neben der Ausstellung der ständigen Sammlung regelmäßig Ausstellungen mit Grafikern, die in der Ausübung ihres Fachs eine Verwandtschaft mit den Arbeiten von Rembrandt aufweisen; dazu gehören Erik Desmazière, Jacob Demus und Charles Donker.
Obwohl meine Ansichten “figurativ und realistisch” sind, besuche ich auch Ausstellungen von Künstlern, die auf ganz andere Art und Weise arbeiten.
Philip Wiesman